Blindflug für Orchester mit Trautonium-Solo (2009-10)

Besetzung: 2(Picc)-2-1-A.-Sax-Basskl-2, 2-2-1-Tb, Pk. Sz (3), Akk, Trautonium, Streicher

Dauer: ca. 12 Minuten

Verlag: Schott Music

Auftragswerk des Bezirksamtes Berlin-Marzahn-Hellersdorf
für das Jugendsinfonieorchester der Musikschule „Hans Werner Henze“

UA: Berlin, 3.10.2010 Jugendsinfonieorchester der Musikschule „Hans Werner Henze“
Christina Dietrich, Trautonium
Leitung: Jobst Liebrecht

Werkeinführung:

Das Trautonium gehört zu den großen Unbekannten in der Geschichte des Instrumentenbaus. Stand es Anfang der 1930er Jahre an der Schwelle zur Serienfertigung unter der Bezeichnung „Volkstrautonium“, ist es später weitgehend zum Experimentier- und Spekulierobjekt von Bastlern und Spezialisten geworden, verknüpft vor allem mit dem Namen Oskar Sala, der allerdings statt der einfachen Urkonstruktion eine Art Hyper-Trautonium mit zahlreichen Zusatzgeräten verwendete. Die Entwicklung der elektronischen Musik nach dem zweiten Weltkrieg hat das Instrument rein technisch rasch überholt.

Was ist für einen Komponisten des 21. Jahrhunderts an diesem „lebenden Fossil“ überhaupt interessant, wo heute jeder Mini-Synthesizer, jeder Laptop mit ein wenig Freeware größere Möglichkeiten bietet? Nun, eben seine Beschränktheit – die man mit gutem Recht auch als Klarheit und Reinheit bezeichnen könnte. Vier Grundschwingungsformen, ein Rauschgenerator, ein paar Filter und eine stufenlos regulierbare Tonhöhe, sonst nichts. Ein Klang, der den Pioniergeist der frühen elektroakustischen Tonerzeugung heraufbeschwört, ohne Granularsynthese, Max-Patches und dergleichen und damit auch ohne die Gefahr, dass das Gerät kraft seiner unbegrenzten Möglichkeiten die Herrschaft über den Komponisten übernimmt.

Blindflug lässt den idiomatischen Klang des Trautoniums ins Orchester wandern und sich dort verselbständigen: aus Rauschen, Glissandi, frei schwebenden Melodiefragmenten, hohem Flirren und tiefem Knurren wird ein abwechslungsreicher, komplexer Dialog. Der Titel verweist auch auf den Kompositionsprozess – ein großer Teil der Partitur entstand vor der endgültigen Fertigstellung des Trautonium-Nachbaus gleichsam „halbblind“. Dieses Gefühl des „Blindflugs“ hat sich dann auch auf den Charakter des Stückes übertragen. Eine knappe, aber eher rhapsodische Form umspannt viele Details, die wie kleine Flugobjekte aus allen Richtungen herangesaust kommen und wieder verschwinden. Mehr überraschende Richtungswechsel als klare Orientierung, vereinzelte Morsezeichen, die im Rauschen untergehen, hin und wieder eine kurze Phase der Stabilisierung… Der Schluss ist zwar kein Absturz, aber auch keine ruhige Landung.