Aufführungsdauer: ca. 15′
Verlag: Schott Music (in Vorbereitung)
UA: 23.5.2022, Konzerthaus Berlin (Uraufführung)
Viviane Hagner, Violine
Thomas Hoppe, Klavier
Auftragswerk des Konzerthauses Berlin
Werkeinführung:
Angefragt, ob ich für die Jubiläumsspielzeit des Konzerthauses am Gendarmenmarkt ein Duo für Violine und Klavier schreiben würde, hatte ich im ersten Moment ziemlichen Respekt vor dem kulturgeschichtlichen Ballast, der auf solch einem Projekt lasten würde. Dann aber überwog sehr schnell die Faszination für eine Epoche, die man mit Blick auf Berlin mit gutem Recht als die „anderen Goldenen Zwanziger“ betrachten könnte – es war eine Zeit, in der Hegel, Mendelssohn, E.T.A. Hoffmann und viele andere in dieser Stadt wirkten, in der Beethoven noch lebte und zugleich die (musikalische) Romantik aufkam.
Ein großartiges Tableau, aber kann es Inspiration für einen Komponisten sein, der im heutigen Berlin lebt? Es kann. Meine Assoziationen begannen rasch, sich um den Topos des „Teufelsgeigers“, um den Kapellmeister Kreisler, aber auch um die Skurrilitäten in Beethovens späten Bagatellen anzulagern. Das Stück sollte ein spinnenfingeriges Scherzo werden, das der Frage nachgeht, ob sich so etwas wie romantische Ironie in eine moderne Klangsprache übersetzen lässt. Rasend vorüberhuschende Gestalten irrlichtern zwischen Geige und Klavier hin und her, treten auf der Stelle, um dann wieder kaskadierend in alle Richtungen auszubrechen. In zwei längeren, ruhigeren Passagen verdichtet sich der Satz, einmal zu einer fiebrig oszillierenden Trillerfläche, einmal zu einem weit ausgreifenden, komplexen Gesang der Geige, zu dem das Klavier verträumte Kommentare liefert, die schließlich die Hauptlinien wie Efeu überwuchern. Der äußeren Virtuosität ist eine innere an die Seite gestellt, die sich aus der intrikaten Detailversessenheit aller Gesten und Texturen speist und aus einer irren Kontrapunktik, die sich selbst in ständigen Stimmkreuzungen und Übernahmen atemlos hinterherjagt.
Der Titel bezieht sich auf eine Passage bei E.T.A. Hoffmann, in der er schreibt, dass wir zu „Geistersehern“ werden, wenn wir Beethoven hören, aber auch auf Schillers gleichnamiges Romanprojekt, eine Vorstufe des romantischen Schauerromans. In diesem Sinne ist die Partitur von „Geistererscheinungen“ durchzogen – Passagen, in denen das Geschehen plötzlich wie hinter Milchglas verschwindet, völlig gedämpft und verschleiert erscheint. Diese phantomhaften Abschnitte sind die heimlichen Kernzonen des Stückes.