Texte: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Andreas Gryphius, Martin Opitz, Georg Philipp Harsdörffer, Barthold Hinrich Brockes und Friedrich von Logau
Besetzung:
Chor SSAATTBB
(jede Stimme passagenweise nochmals zweifach geteilt;
Chorstärke: 2 oder 4 Sänger je Stimme, also 16 oder 32 insgesamt)
Blechbläserquartett (optional):
Trompete in B
Horn in F
Posaune
Tuba
Aufführungsdauer: ca. 16′ (a cappella-Version: ca. 15′)
Verlag: Schott Music
UA: 21.10.2011, Berlin, RIAS-Kammerchor, Ltg.: Kaspars Putnins
Rundfunksendung: DeutschlandRadio, 21.10.2011
Auftragswerk des RIAS-Kammerchors
Werkeinführung:
Deutsche Lyrik des Barock hat mich schon länger in besonderer Weise angezogen. Bei der Gestaltung des Librettos meiner Kammeroper Dafne (nach Martin Opitz, 2005) habe ich mehrere Opitz-Gedichte in den Operntext eingearbeitet und erstmals auch in größerem Umfang einen Chor eingesetzt. Daraus entstand der Wunsch, die Kombination aus Chorklang und barocken Texten noch einmal in einem größeren selbständigen Chorwerk eingehender zu bearbeiten. Als Textvorlagen dienen Gedichte von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Andreas Gryphius, Martin Opitz, Georg Philipp Harsdörffer, Barthold Hinrich Brockes und Friedrich von Logau. Bis auf das aphoristische Trost-Gedicht von Logaus werden die Texte jedoch in gekürzter und bearbeiter Form verwendet. Die ähnliche Thematik, die zudem auch mit eng verwandten sprachlichen Mitteln und Bildern beschrieben wird, und die Neigung zur Redundanz – meist wird ein Gedanke in mehreren gleichbedeutenden, aber unterschiedlich formulierten Zeilenpaaren wiederholt – ermöglichen es, die Texte ineinander zu verschränken, ja sogar Passagen zwischen den Gedichten auszutauschen.
Der Umgang mit den Texten changiert stets zwischen verständlicher Vertonung und dem Einsatz der Sprache als klanglich-strukturellem Material. Ein wichtiger Aspekt dabei ist das Rotieren von Worten und Silben durch den gesamten Chor, wodurch – unterstützt durch unterschiedliche dynamische Färbungen und ein häufig angewandtes „ungenaues Unisono“ – eine Art Panoramaklang-Effekt entsteht. Der oft herbe, konsonantenreiche Klang und die wuchtige Metaphorik der Gedichte, aber auch die gedrechselten, bisweilen skurril wirkenden Formulierungen werden dabei musikalisch eher dezent umgesetzt. Insbesondere der deklamatorische Gestus der Texte wird nicht noch verstärkt, sondern eher abgeschwächt, einige schöne Sprachbilder werden jedoch aufgegriffen und klanglich interpretiert. Der Chorklang als solcher bleibt dabei weitgehend „intakt“ im traditionellen Sinne, das Tonmaterial ist sogar über weite Strecken stark reduziert – überhaupt nur ein einziger Abschnitt (der Beginn des III. Satzes) verwendet alle zwölf Töne der chromatischen Skala. Der weitgehende Verzicht auf spektakuläre Wirkungen dient dazu, die Aufmerksamkeit für eine durchhörbare Harmonik, dynamische Differenzierungen, unterschiedlichste Stimmen- und Registerkopplungen und feine Varianten der Textverläufe in den einzelnen Stimmen zu schärfen.
Dramaturgisch gliedert sich der Zyklus in mehrere größere Blöcke. Der mottoartige Beginn geht, in einer Art textlich-harmonischem „cross-fade“-Prozess, in den nach und nach „wie Rauch“ verwehenden Gryphius-Satz über, wobei sich der Chor über mehrere Minuten hinweg von einer matten Mittellage in die Randlagen aufspreizt und der Klang dazu mehr und mehr in feines Rauschen übergeht. Einem kurzen Zwischenspiel – dem einzigen Abschnitt, in dem die Bläser eine dominante Rolle haben – folgt Opitz‘ Echo, das sich von einem schweren, tiefen, stark dissonanten Klang ausgehend langsam aufhellt. Der leichte Charakter vom Schluß des Satzes wird in Harsdörffers Herbst-Gedicht aufgegriffen. Von dessen überwiegend schlichter Setzweise hebt sich die folgende Brockes-Vertonung ab, das Kernstück des Zyklus‘ und der einzige Satz, der nicht aus einem Abschnitt hervor- oder in einen anderen übergeht. Das Bild des Regens fallender Blätter, über das Brockes‘ Gedicht gleichsam spiralförmig meditiert, wird in einen ausgedehnten, unablässig in sich kreisenden Klangkomplex übersetzt, in dem jede einzelne der bis zu 16 Stimmen eine eigene Variante des Textes durchführt, so dass eine Art „Text-Schwarm“ entsteht, der den Hörer gleichsam umfängt. Während zugleich der Chorklang nach und nach ein Maximum an Umfang und Dichte erreicht, bleibt der Satz, analog zu Brockes‘ relativ glatter Diktion, dabei nahezu durchweg leicht, entspannt, fast ungerührt im Ausdruck. Der letzte Abschnitt greift das Motto des Beginns auf und führt die ineinander verschränkten Hofmannswaldau-Gedichte fort, diesmal übergehend in den knappen Epilog des Logau-Textes, der den barock-pathetischen Weltschmerz mit einem „Rundspruch“, dessen Silben in irrwitzigem Tempo durch den Chor rotieren, ironisch bricht.
Der Blechbläsersatz ist so disponiert, dass er – stützend, begleitend und teilweise ergänzend – nahezu mit dem Chor verschmilzt; es gibt fast keinen Einsatz der Bläser, der nicht direkt an eine der Chorstimmen gekoppelt ist. Dennoch wirkt das Weglassen oder Hinzunehmen der Bläser sich natürlich auch auf den Charakter des Chorsatzes aus: so wurden zwei gleichberechtigte Versionen des Stückes in einer Partitur verwirklicht. Damit kann vergehn wie Rauch sowohl im heutigen als auch im ursprünglichen Sinn der Bezeichnung a cappella aufgeführt werden.